21. April 2016

China-Projekt „innovative Lehrmethode in beruflicher Bildung“, veröffentl. in Fachzeitschrift: berufsbild. Schulen – BbSch/68/2016

Praxisorientierte Workshops in Peking und in Guangzhou:

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Die Systemische Pädagogik versucht mit Hilfe von Rollendarstellungen, Meditationen, Gruppenarbeit, Fragemöglichkeiten im Plenum und Aufstellungen, die Wahrnehmung zu schulen im Umgang mit sich selbst und im Umgang mit anderen. Sie ist lösungsorientiert und schaut auf das Gelingen der Beziehungen. Wenjing He, eine Doktorandin der Germanistik der Ludwig-Maximilians-Universität München, ist mit mir im März 2015 nach Peking und im Mai 2015 nach Guangzhou geflogen. Wir veranstalteten jeweils an 2 Tagen einen Workshop in Peking für Lehrer und in Guangzhou für Lehrer an der Polytechnischen Berufsschule Guandong mit dem Thema: Freude am Lehren unter Berücksichtigung der Erkenntnisse der systemischen Pädagogik. Es waren in Peking ca. 70 Lehrer und in Guangzhou ca. 120 Lehrer anwesend.

Ja, auch chinesische Lehrer haben Probleme. Sie beklagten sich v.a. über die Klassenstärken von 50 – 60 Schülern, über unruhige Schüler und über den immensen Druck, der von außen auf sie übertragen wird.

Nach und nach arbeiteten wir die Anliegen der chinesischen Lehrer mit Hilfe von Aufstellungen und Rollendarstellungen durch und es zeigte sich nach einer anfänglichen Reserviertheit gegenüber meiner Arbeit eine Veränderung in der Ausstrahlung der Teilnehmer. Die Gesichter hellten sich auf, denn es ging bei diesen Workshops nicht um eine Multimedia-Veranstaltung, sondern um Wahrnehmung, Beziehungen, Schauen, Beobachten oder Fühlen. Das war ungewohnt, eine innovative Lehrmethode.

Im Laufe der Workshops und nach einigen Aufstellungen nahm das Interesse der Lehrer zu und ich erläuterte, welche Theorie der „Systemischen Pädagogik“ zugrunde liegt. Bei einer Aufstellung spüren und fühlen die Darsteller wie die wirklichen Personen, ohne dass diese anwesend bzw. bekannt sind, das ist phänomenologisch.  So  lässt sich zeigen, wo die eigentliche Schwierigkeit einer Beziehung und die Wurzel für eine Lösung liegt. Die Beziehung von Lehrer und Schüler wird in einem größeren Zusammenhang gesehen, was die Familie des Schülers und auch des Lehrers miteinschließt. Es sind v.a. die schweren Schicksale in einer Familie, z.B. früh verstorbene Eltern oder Geschwister (oft vielleicht gar nicht bekannt, weil es die Eltern für sich behalten), die das Lernverhalten beeinträchtigen. Kinder spüren das, leiden mit und verzichten oft auf ihren persönlichen Erfolg, weil sie für die Familie das Schwere mittragen – unbewusst, verborgen und ohne, dass es jemandem hilft.

Von Aufstellung zu Aufstellung löste sich die  Zurückhaltung und die Lehrer verzichteten nach anfänglichem Protest jetzt auch gerne auf ihr geliebtes Smartphone.

Der Bezug zum eigenen Körper, das Wieder-Fließen dürfen der Beziehungen zu den eigenen Eltern und Geschwistern und zu den Ahnen wirkt stärkend auf die Kraft und die Freude am Leben. Schüler spüren das ganz genau und die Lehrer konnten in jeder Aufstellung sehen, wie die Schüler anders auf sie schauen, wenn der Lehrer mit Achtung auf die eigene Familie und auch auf die Familie des Schülers schaut.

Das kam ganz besonders und deutlich in einer Aufstellung zum Vorschein, als es um die Achtung gegenüber einer bäuerlichen Herkunft ging. Viele Lehrer hatten Vorfahren, die Bauern waren. Es hatte den Anschein, dass dieser Berufsstand nicht so geachtet ist. Daraus entwickelte sich eine große Bauernaufstellung über mehrere Generationen (s. Bilder unten). Den Teilnehmern wurde bewusst, dass durch die harte Arbeit und die Leistung dieser Menschen das große Land mit seiner langen Geschichte Nahrung hatte und hat und überleben kann.

Als sich einige Lehrer vor den Darstellern der Bauerngenerationen verneigten und ihre bäuerlichen Vorfahren achten konnten, kam der ganze Stolz und die Würde, die diese Menschen besaßen und besitzen ans Licht. Die Teilnehmer nahmen war, welche Kraft daraus für den Lehrer entsteht, wenn er aus so einer Tradition entstammt und sich in die lange Kette seiner Vorfahren – jetzt als Lehrer – einreiht.

Die Würdigung der Arbeit der Ahnen bzw. Vorfahren , hier der bäuerlichen Arbeit, die im heutigen China oft geringgeschätzt wird, ermöglichte einen Wandel in der Einstellung zu Anforderungen in der aktuellen Arbeitswelt.  Mit neuer Kraft und gestärkter innerer Haltung konnten nun viele Lehrkräfte ihre eigene Arbeit anerkennen und blickten zuversichtlich nach vorne.

In Zusammenarbeit:

  • GuoMing Zhang
    Schulleitung, Polytechnische Berufsschule Guangdong, Ingenieur, Berufspädagoge
  • Wenjing He
    Doktorandin der Germanistik an der Ludwig-Maximilians-Universität München
  • Nuo Xu
    Lehrerin, Musikerin, Polytechnische Berufsschule Guangdong, Fotografin

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